kunst und entwicklungspolitik - Fortsetzung

Mit diesem Hinweis auf die noch heute nicht überwundene konterproduktive "Arbeitsteilung" zwischen Auswärtigem Amt und BMZ eröffnete Konrad Melchers, (eh. Chefredakteur der "Zeitschrift Entwicklungspolitik" - heute "Welt-Sichten") die Veranstaltung "KUNST UND ENTWICKLUNGSPOLITIK", die im Rahmen der Ausstellung "im listrosjahr" von Prof. H. H. Grimmling am 28.04.2011 stattfand. Kunst in solch einen Funktionszusammenhang zu stellen, ist nicht ohne Probleme, betonte Melchers. Denn es besteht die Gefahr der Instrumentalisierung, manche Künstler beschreiben solch ein Vorgehen als Propaganda.

Deshalb war es umso spannender zu hören, wie Annette Braun (eh. Kunstbeauftragte des Evangelischen Entwicklungsdiensts- eed), Randa Kourieh-Ranarivelo, Koordinatorin für Kultur und Entwicklung, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit - GIZ) und Cornelia Dümcke, Kulturökonomin und Projektentwicklerin, Culture Concepts auf dem LISTROS-Panel diskutierten, inwieweit sich die alten Positionen überholt haben und wie Kunst und Entwicklungspolitik heute zusammen gehen.

Während die United Nations - Milleniumsziele im Jahr 2000 Kultur noch überhaupt nicht mit einschlossen, gibt es zehn Jahre später die Absicht, dieses Versäumnis nachzuholen. "Das ist eine Entwicklung, die optimistisch stimmt," sagte Randa Kourieh-Ranarivelo. "Und wir haben jetzt auch die Situation, dass die BMZ-Leitung sich endlich mit dem Thema befasst." Als Beispiel nannte sie den entwicklungspolitischen Filmpreis "Cinema fairbindet" der vom BMZ in Kooperation mit der Berlinale in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben wurde und zur Tradition werden soll.

Der Evangelische Entwicklungsdienst (eed) hingegen befasst sich schon länger mit dem Zusammenwirken von Kunst und Entwicklungspolitik. "Kultur ist eine ergänzende Dimension und vermag etwas, das Entwicklungspolitik nicht kann," sagte Annette Braun. "Kunst geht über die kognitive Dimension hinaus und kann unter die Haut gehen. Kulturelle Vielfalt kann Menschen helfen, ihre eigenen Stärken zu entdecken und zu leben. Gleichzeitig initiiert Kunst gegenseitige Wertschätzung und kann durch den Abbau von Vorurteilen Heilungsprozesse anstoßen."

Dafür hatte sie eindrucksvolle Beispiele parat. So veröffentliche der eed unter dem Titel "Bushman Art" die erste und umfassende Dokumentation der Kunst einer Volksgruppe, die schon fast verschwunden war. Durch die Wertschätzung und das hohe Maß an Öffentlichkeit (z.B. Ausstellung bei der Expo) wurde verhindert, "dass ihre Spuren nicht im Sande verwehten," so Annette Braun.

In ihrem Beitrag kam Cornelia Dümcke sehr schnell zu den noch existierenden Stolpersteinen zurück. "Das Begriffspaar Kultur und Entwicklung hat an Bedeutung gewonnen und es wird nicht mehr bestritten, dass Kultur in den Entwicklungszusammenhang gehört," bestätigte sie zunächst, um gleich hinzuzufügen, dass eine strategische Verankerung noch immer unendlich schwierig sei. "Viele politische Beamte betrachten die kulturellen Sektoren als untergeordnet, denn sie verbrauchen mehr Geld als sie generieren. Aber diese Arbeit und Beschäftigung nur auf Umsatz abzuklopfen, reduziert die Debatte. Es entspricht nicht der Arbeitsweise von Kunst, immer Resultate zu erzeugen." Hier sei Übersetzungsarbeit nötig, denn Künstler und Entwicklungspolitiker sprächen völlig unterschiedliche Sprachen.

Alle waren sich einig, dass durch die Besinnung auf den Begriff der aktiven kulturellen Teilhabe einiges erreicht werden könne. Cornelia Dümcke verwies auf Studien, die klar zeigen, dass Individuen sich durch kulturelle Teilhabe verändern, dass ein enger Zusammenhang zwischen kultureller Teilhabe und Wohlbefinden besteht und dass sich all dies positiv auf die Volkswirtschaft auswirkt. Außerdem besteht ein enger Zusammenhang zwischen kultureller Partizipation, Bildung und Ökologie. Und nicht zuletzt bedeutet lebenslanges Lernen eine kulturelle und darüber hinaus eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft.

"Wir reden über Kunst und Entwicklungspolitik, weil durch die globale Entwicklung die kulturellen Traditionen verschwinden. Wenn die wieder entwickelt werden, gibt es auch wieder Beschäftigung,"gab Cornelia Dümcke zu bedenken.

Dies bestätigt das eed-Projekt "AFRICAN MOSAÏQUE  A pan-African fashion show", das im Juni 2010 im Atrium des Auswärtigen Amt zu sehen war. Zuvor war in Workshops mit Frauen im südlichen Afrika (z.B. Schmuckworkshops in der Kalahari) das Wissen um die alte Traditionen wieder belebt worden. zu beleben. In Kombination mit dem Flair von Pariser Designern sollte den Frauen eine Vermarktung ermöglicht werden. Die erfolgreiche Idee "from grassroots to glamour" gipfelte in einer Verkaufsausstellung im Berliner Lafayette. "Diese Designerinnen können mit den westlichen Spitzendesigner konkurrieren," sagte Annette Braun. "Aber die Rahmenbedingungen stimmen noch nicht. So gibt es noch kein funktionierendes Vertriebssystem. Wenn das verbessert wird, könnte es Aufträge geben und sowohl die produzierenden Frauen als auch die lokale Zulieferer könnten davon profitieren."

Über die Kreativwirtschaft, so Konrad Melchers in einem weiteren Gedankengang, sei es möglich deutlich zu machen, dass alle Kulturen ihre eigenen Kulturstärken haben. "Damit sind Begegnungen auf Augenhöhe möglich," fügte er hinzu. "So können Veränderungen leichter erreicht werden."

Dies mag im Bereich Governance, Identitätsbildung, Friedensarbeit und gesellschaftlicher Transformation geschehen. Zwei der am Abend genannten Bespiele zeigten, wie tabuisierte Themen über Kultur öffentlich angesprochen werden können. So arbeitete die GIZ im Jahr 2009 mit dem kolumbianischen Musiker César López zusammen, um in Kolumbien von der Gewaltkultur zur Friedenskultur zu finden. Sein Markenzeichen ist die "Escopetarra", ein zu einer Gitarre umgebautes Gewehr (spanisch: escopeta). Diese hat er u.a. an die UNO, den Berliner Senat und indische Politiker übergeben, um auf die Gewalt in Kolumbien aufmerksam zu machen und über die Möglichkeiten des Gewaltverzichts ins Gespräch zu kommen.

Ein eed-Projekt befasste sich 2003 mit dem Versuch, Traumata zu bewältigen. "Was hättet ihr getan?" fragte der ghanaische Künstler Kofi Setordjis in einer multimedialen Installation "Genocide Monument" zum Gedenken an den Völkermord in Ruanda. Der eed präsentierte diese Mahnmal gegen Vergessen und die dazugehörige Ausstellung "Die Wunden der Erinnerung" beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin. Im darauffolgenden Jahr, im April 2004, als Ruanda zum zehnten Mal des Völkermords gedachte, war sie in der Hauptstadt Kigali zu sehen.

"All dies ist ein Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation," ist Randa Kourieh-Ranarivelo überzeugt. "In unseren Projekten geht es allerdings nicht um reine Kultur. Diese steht immer im Zusammenhang mit strukturellen Bedingungen. Doch ist Kultur die vierte Dimension einer nachhaltigen Entwicklung. Wenn man sich in Afrika nicht um Kultur kümmert, kann man Ziele nicht erreichen. Das ist eine international anerkannte Tatsache."

Ob Kultur eine eigene 4. Dimension der Entwicklungspolitik sein soll, wurde in der Diskussion kritisch hinterfragt. Cornelia Dümcke betonte den inhärenten Charakter der Kultur gegenüber anderen Faktoren und Aspekten von Entwicklung. Auch die Bedeutung internationaler und damit auch deutscher Hilfe in Afrika war strittig. "Im südlichen Afrika sind es die internationalen Organisationen, die gerade auch kritischen Künstlern die Möglichkeit einer Stimme geben, indem sie finanzielle Unterstützung für Projekte zur Verfügung stellen," sagte Cornelia Dümcke.

Annette Braun hingegen vertraut eher auf die Eigenständigkeit. "Wir brauchen keine Sorge zu haben," sagte sie. "Künstler in Afrika machen das auch ohne GIZ und eed."

Von Regine Wosnitza
April 2011